Eingekochtes Obst und Gemüse

Ein harmloses Beutelchen voll Chemie – gleich neben Backpulver & Co

August 08, 20254 min read

Kürzlich bin ich mal wieder über ein Produkt gestolpert, das ein Paradebeispiel ist für den maroden Zustand unseres Systems. Ich habe mich gefragt, wie die Lebensmittelindustrie überhaupt damit durchkommt, solche – wenn wir ehrlich sind, giftigen – Produkte derart harmlos im Supermarkt anbieten zu können. Bis jetzt ist mir keine akzeptable Antwort eingefallen, die meinen inneren Wertekompass nicht komplett durchschüttelt.

Worum geht es:
Es ist Spätsommer, viele Früchte sind jetzt reif, und ich liebe es, mich für den Winter mit selbst eingekochtem Obst und fermentiertem Gemüse einzudecken. Selbst gemachte Vorräte für den Winter anzulegen, streichelt mein inneres Hamstertierchen. Mal abgesehen davon, dass ich den ganzen Winter (fast täglich) Freude daran habe, so schöne Dinge in meinem Vorratsraum zu finden, genieße ich auch den Prozess des Einkochens. Alles duftet nach Obst und Gewürzen. Man hat echte Erfolgserlebnisse, wenn man vor all den köstlich gefüllten Gläsern steht. Ein ganz anderes Gefühl, als wenn man den ganzen Tag in die Tasten vom Laptop haut. Und der Kontakt mit echten, guten, duftenden Lebensmitteln lässt mein Herz singen. Ein besonderer Bonus ist, dass die eigene Versorgung mit gesunden Lebensmitteln für mich höchster Ausdruck von Selbstfürsorge ist. Diese Selbstfürsorge begleitet mich also den ganzen Winter. Herrlich!

Diesen Prozess des Einkochens mache ich seit Jahren. Ich habe bewährte Rezepte und Geschmacksrichtungen, auf die ich gerne zurückgreife. Dieses Jahr wollte ich mich gerne etwas inspirieren lassen und vielleicht mal etwas Neues ausprobieren. Also ab ins Internet. Weit bin ich nicht gekommen, denn mein zweiter Klick hat mich bereits auf eine Seite gebracht, wo im Rezept ein Produkt angeführt wurde, von dem ich bisher noch nie gehört hatte: Einsiedehilfe. Klingt super harmlos und wird in einem Beutelchen verkauft wie Vanillezucker oder Backpulver. Ich also recherchiert, was das denn wohl sein könnte – vielleicht wäre das ja auch was für mich? Und siehe da, es handelt sich um eine Mischung aus Zucker (den kann man nun wirklich selbst dosieren) und dem Konservierungsstoff Natriumbenzoat (E 211). Da war sofort klar: nein – das ist nichts für mich, aber trotzdem wollte ich das genauer wissen.

Ich erlaube mir, hier Copy-Paste zu betreiben, was ich im Internet dazu gefunden habe:

Was ist Natriumbenzoat (E 211)?

  • Konservierungsstoff, hemmt Hefen, Schimmelpilze und bestimmte Bakterien

  • Natriumsalz der Benzoesäure

  • Wasserlöslich, gut dosierbar, lange haltbar

Einsatzbereiche:
Fruchtsäfte, Limonaden, Marmeladen & Gelees, Fertigsaucen, Essiggemüse, Oliven

Wirkung:

  • Hemmt Mikroorganismen besonders in saurem Milieu (pH < 4,5)

  • Verlängert Haltbarkeit ohne Kühlung

Ist das schädlich?

  • In kleinen Mengen: offiziell unbedenklich (ADI = 5 mg/kg Körpergewicht pro Tag)

  • Empfindliche Personen: Hautausschläge, pseudoallergische Reaktionen, evtl. Verschlechterung bei Asthma

  • Hinweise, dass es mit bestimmten Farbstoffen Hyperaktivität bei Kindern verstärken kann

  • Umwandlung zu Benzol möglich (in Verbindung mit Vitamin C, unter bestimmten Bedingungen)

Was mich daran stört:

  • Solche Zusatzstoffe gehören – wenn überhaupt – in die Lebensmittelindustrie, nicht in private Haushalte.

  • „In kleinen Mengen unbedenklich“ heißt im Umkehrschluss: ab einer bestimmten Menge bedenklich.

  • Stoffe mit strenger Dosierungsgrenze gehören nur in kontrollierte Umfelder.

  • Wenn sie frei verkäuflich sind, sollte es klare Hinweise auf Wirkung und Nebenwirkungen geben – wie bei Medikamenten.

  • Auf der Anbieterseite ist rechtlich alles korrekt, moralisch für mich fragwürdig. Selbst auf Hustenbonbons steht, dass übermäßiger Verzehr Durchfall verursachen kann – warum nicht hier?

Und jetzt erzähl mir noch einer, dass Ernährung ja nur nebensächlich ist, wenn man doch bereits weiß, dass Natriumbenzoat einen Einfluss haben kann auf: Hautausschläge, pseudoallergische Reaktionen, eventuelle Verschlimmerung bei Asthmatikern, Hinweise (nicht vollständig gesichert), dass Natriumbenzoat in Kombination mit bestimmten Farbstoffen hyperaktives Verhalten bei Kindern verstärken könnte …

Wie um Himmels willen kann es sein, dass so ein Produkt in der gleichen Verpackung wie Vanillezucker erhältlich ist? Ohne jegliche Hinweise über gesundheitliche Auswirkungen? Im Gegenteil! Man wirbt noch damit, dass die selbst eingekochten und somit viiiiiiiel natürlicheren Lebensmittel dadurch nun endlich richtig lange haltbar sind – puh.

Das Selbst-Einkochen scheint mir doch gerade für diejenigen Menschen attraktiv, die von solchen chemischen Zusätzen wegwollen. Warum muss man denn da wieder mit Chemie reingrätschen? Reicht es nicht, so einzukochen, wie die Menschen das seit Jahrhunderten tun? Einfach durch Hilfsmittel wie Salz, Zucker oder Hitze – je nach Methode und Rezept? Mehr braucht es doch gar nicht. Außer natürlich, man kann mit so einem Beutelchen ein Bombengeschäft machen, weil die wenigsten Verbraucher:innen sich die Mühe machen, erstmal ausführlich im Internet zu recherchieren …

Vielleicht hat das größte Haltbarkeitsproblem nicht das Essen, sondern unsere Moral.

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