
Gluten-sensitiv - Ja oder nein?
Wenn ich unterwegs bin, liebe ich es, in Supermärkten und auf Märkten nach lokalen Spezialitäten zu stöbern und dann damit selbst etwas zu kochen. Restaurants sind zwar toll, aber tatsächlich habe ich viel mehr Freude daran, mein eigenes „Süppchen zu kochen“.
Das Angebot auf Märkten und in Supermärkten richtet sich ja immer nach dem Einkaufsverhalten und den Vorlieben der Kunden. Und da habe ich etwas sehr Spannendes beobachtet: In Italien wird traditionell ja sehr viel Mehl in der Küche verwendet – Pasta und Pizza sind absolute Klassiker, und es vergeht im Leben von ItalienerInnen wohl kein einziger Tag, an dem nicht mindestens einmal eines dieser Gerichte gegessen wird. Üblicherweise bestehen fast alle Mahlzeiten in ihrer Basis aus einem Weizenmehl-Produkt – egal ob Brot, Pasta, Pizza oder Ähnliches. Und wenn es doch mal etwas wie Risotto oder Salat gibt, dann wird doch immer Brot dazu gereicht. (Weizen-)Mehl ist allgegenwärtig.
Und jetzt wird es richtig interessant: In keinem europäischen Land habe ich jemals eine derart große Auswahl an glutenfreien Produkten gefunden wie in Italien! Offensichtlich gibt es hier eine überdurchschnittliche Anzahl an Menschen, die gluten-sensitiv sind. Für mich ein Traum, da ich Gluten auch nicht gut vertrage und mich hier durch das Angebot all der tollen Sachen verkosten kann. Herrlich!
Nahrungsmittelunverträglichkeiten haben sich in den letzten 20 Jahren pandemieartig über den Globus verteilt. Leider werden sie von vielen (Ärzten) noch immer belächelt und als Hysterie/Einbildung abgetan. Ich werde nie vergessen, wie mich auf einem medizinischen Kongress einmal ein Arzt beim Buffet darauf ansprach, warum ich die glutenfreien Kekse in der Pause wählte (der Kongress war übrigens auch in Italien, sonst gibt es eher selten eine glutenfreie Auswahl!). Auf meine Antwort, dass ich Gluten schlecht vertrage, fragte er, ob ich Zöliakie hätte. Nein, habe ich nicht. Aber Gluten tut mir einfach nicht gut. Seine Antwort: „Das bildest du dir ein.“ Aha. Da bin ich aber froh, dass mir jemand nach keinerlei Anamnese endlich mal meinen Körper erklärt ……………
Es besteht ein großer Unterschied zwischen Zöliakie und Gluten-Sensitivität. Menschen, die von Zöliakie betroffen sind, vertragen wirklich nicht die geringste Spur von Gluten in ihren Mahlzeiten. Wenn Betroffene glutenhaltige Nahrung zu sich nehmen, identifiziert das Immunsystem Bestandteile des Glutens fälschlicherweise als gefährlich. Die Folge sind Entzündungen, die langfristig die Dünndarmschleimhaut schädigen – insbesondere die sogenannten Zotten, die für die Nährstoffaufnahme zuständig sind. Die Nahrung kann also nicht richtig verdaut und Nährstoffe nicht aufgenommen werden. Mangelernährung und massiver Gewichtsverlust sind (u. a.) oft die Folge. Menschen mit schwerer Zöliakie "verhungern" geradezu von innen.
Bei Gluten-Sensitivität ist das nicht ganz so dramatisch, aber trotzdem ein Problem. Denn auch hier reagiert der Dünndarm mit einer Abwehrreaktion, weil er mit dem Gluten (Klebeiweiß) nicht richtig umgehen kann. Typische Anzeichen für eine Gluten-Sensitivität sind ein aufgeblähter Bauch nach dem Essen, Durchfall, Allergien auf Grund der Überreaktion des Immunsystems, undefinierbares Unwohlsein – aber auch ganz spannende Dinge wie geschwollene/steife Gelenke oder raue Haut an der Rückseite der Oberarme! Ich habe als junge Frau sehr darunter gelitten, dass meine Oberarme sich angefühlt haben wie Schmirgelpapier. Was habe ich nicht gecremt, gepeelt und wieder geschmiert. Nichts hat geholfen, bis ich das Gluten weggelassen habe …
Es gibt eine sehr interessante Theorie, warum insbesondere die Glutenunverträglichkeit in den letzten 20 Jahren explosionsartig über den Globus gewandert ist. Brot und andere Nahrungsmittel aus Getreide sind doch seit Jahrtausenden Grundnahrungsmittel. Warum also reagieren so viele Menschen plötzlich mit körperlichen Beschwerden?
Anfang der 2000er-Jahre hatte ein internationaler Konzern, der für den Großteil der weltweiten Getreide-/Saatgutversorgung zuständig ist, eine sehr schlaue Idee: Getreide wird – wie alles andere auch – nach Gewicht bezahlt. Je schwerer ein Korn, desto mehr bekommt man dafür. Was wäre also, wenn man Weizen so züchten würde, dass jedes einzelne Korn einfach schwerer ist? Man bräuchte die gleiche Anbaufläche und könnte trotzdem den Profit enorm steigern. Aus wirtschaftlicher Sicht genial.
Und jetzt kommt der Haken: Dieses zusätzliche Gewicht erreicht man durch mehr Gluten in den einzelnen Weizenkörnern. Wenn wir also Weizenmehlprodukte konsumieren, dann haben diese seit ca. 20 Jahren deutlich mehr Gluten, als unsere Körper es evolutionär gewohnt sind. Und irgendwann ist das Fass einfach voll. Die Dosis macht das Gift – und bei Gluten ist eine sinnvolle Dosis für immer mehr Menschen überschritten. Im Dünndarm, der für die Aufnahme der Nährstoffe verantwortlich ist, herrscht Dauerstress. Das Immunsystem ist ständig im Einsatz, um weitere Entzündungen im Griff zu behalten, und weil die Darmzotten nicht mehr richtig arbeiten, können viele Nährstoffe nicht aufgenommen werden. Das erklärt z. B. auch, warum Menschen, die sich eigentlich doch gut ernähren, trotzdem Mangelerscheinungen und Erschöpfung haben: Sie nehmen die Nährstoffe zwar zu sich, aber sie kommen im Körper nicht an.
Woran erkennt man denn nun, ob man gluten-sensitiv ist oder nicht? Meinen PatientInnen empfehle ich immer, es mal auszuprobieren. Wenn man Gluten mal für 2 Wochen wirklich konsequent aus dem Speiseplan gestrichen hat, dann wird man bei der nächsten Mahlzeit mit Gluten eine deutliche Reaktion spüren – meist in Form von Blähbauch oder Verdauungsstörungen.
Als ich vor 25 Jahren mit dem Thema konfrontiert war, war das für mich ein Schock! Denn wie für die Meisten von uns bestand mein Speiseplan größtenteils aus glutenhaltigen Produkten. Im Gegensatz zu heute gab es damals kaum ein Angebot an Alternativen. Mittlerweile findet man ja in fast jedem Supermarkt ein Regal mit einer Auswahl an glutenfreien Nudeln, Keksen, Brot etc. Das erleichtert die Umstellung enorm. Ja, die Produkte schmecken anders, als wir es gewohnt sind. Aber anders ist nicht gleichbedeutend mit schlecht! Man muss sich nur daran gewöhnen. Und dein Körper wird es dir danken.